zum nachlesen: Rede zur Gefallenenehrung Schützenfest 2024
Sehr geehrtes Königspaar Jannik Krome und Julia Frost, liebe Damen vom Hofstaat,
liebe Schützen, sehr geehrter Oberst Nilkas Gemke,
liebe Ottenhauser Mitbürgerinnen und Mitbürger,
sehr geehrte Gäste,
vor wenigen Wochen, am 23. Mai, konnten wir das Jubiläum 75 Jahre Grundgesetz feiern, ein Tag der Freude.
Wir können uns freuen über ein Land „in guter Verfassung trotz mancherlei Probleme“, und wir können die Bürgerinnen und Bürger wertschätzen, die aufstehen und ihre Stimme erheben für Freiheit, Rechtsstaat und Demokratie.
Die aufstehen und ihren Unmut an die Öffentlichkeit bringen, das Reichsbürger wieder einen Kaiser fordern, das Einige für ein Kalifat eintreten und sich einen religiösen Führer wüschen, das eine Minderheit unsere Grundrechte infrage stellt und den Artikel Grundgesetz: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“ nicht so akzeptieren will, wie es die Mehrheit versteht.
Vor fünfundsiebzig Jahren, als Konrad Adenauer in Bonn das Grundgesetz verkündete, da sprach noch nicht viel dafür, dass dieses Grundgesetz zu einer Erfolgsgeschichte werden sollte.
Im besetzten und geteilten Deutschland löste das Verfassungswerk, das der Parlamentarische Rat unter Aufsicht der Alliierten in monatelanger Arbeit erschaffen und konzipiert hatte, keinen Jubel aus. Die wenigsten interessierten sich für die Versprechen des Grundgesetzes.
Nach der Barbarei des Nationalsozialismus war unser Land zerstört, moralisch zerrüttet und geteilt. Die Städte waren weitgehend verwüstet, unzählige Menschen waren heimat- und obdachlos geworden. Neun Millionen Flüchtlinge und Vertriebene waren aus dem Osten gekommen, Millionen Männer befanden sich noch in Kriegsgefangenschaft oder galten als vermisst. Wohnungsnot und Hunger beschwerten die Menschen. Nach der Katastrophe des Nationalsozialismus wollten die meisten von Politik lieber nichts mehr wissen.
Die Bürgerrinnen und Bürger hatten andere Sorgen.
Sehr geehrte Damen und Herren,
Das Grundgesetz im Artikel 1 beginnt mit dem Satz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ –erst im zweiten Satz kommt der Staat vor, danach hat der Staat die Pflicht diese Würde zu achten und zu schützen.
Erst der Mensch, dann der Staat!
Das ist in ihrer Kürze und Prägnanz die wohl deutlichste Absage an allem, was vorher an Unmenschlichem in und durch den Staat im dritten Reich geschehen war.
Im Artikel 3 Absatz 2 steht: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“
Für diese fünf einfachen Wörter mussten die nur „vier“ Frauen im Parlamentarischen Rat lange kämpfen. Vieles wurde hier in den vergangenen 75zig Jahren für uns Frauen erreicht, aber am Ziel sind wir noch nicht.
Das Ziel bleibt es eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern in allen gesellschaftlichen Bereichen – damit Artikel 3 unseres Grundgesetzes unsere Realität widerspiegelt.
Ich freue mich besonders, hier und heute, als erste Frau in Ottenhausen die Festansprache beim Schützenfest halten zu dürfen. Eine große Ehre für mich und ich hoffe, dass ich nicht die Letzte bleibe. Denn es ist unser aller Aufgabe, unser Grundgesetz weiter mit Leben zu füllen um seine ursprünglichen Zielen zu erreichen.
Demokratie, braucht Institutionen und Menschen, die in ihr Verantwortung übernehmen.
Wir sollten deshalb die Institutionen unserer Demokratie stärken und schützen. Es ist inakzeptabel, wenn grundrechtskonforme Versammlungen gewaltsam unterbrochen werden, wenn kleine Gruppen von Demokratiefeinden demokratische Proteste unterwandern; wenn Minister im Urlaub bedrängt, Kommunalpolitikerinnen bedroht oder Abgeordnetenbüros, ja sogar private Wohnhäuser angegriffen werden.
Es kommt nicht nur auf die von uns gewählten Politiker an, welche ihr Amt hauptberuflich ausüben, sondern vielmehr liegt es an jedem von uns, ein Teil der Demokratie zu sein. Ob durch ein Ehrenamt, ein politisches Amt oder ein Engagement für die Dorfgemeinschaft.
Dass Ottenhausen hier mit Ihrer Dorfgemeinschaft gut aufgestellt ist, ist uns auch bei Rat und Verwaltung bekannt. Egal ob bei den Schützen, der freiwilligen Feuerwehr, dem Heimatverein, dem Förderverein, Kolping oder beim Spielmannszug –– jeder von Ihnen leistet einen großartigen Beitrag.
Als Beispiel möchte ich hier die Naturschutzarbeit, die Arbeiten am Dorfgemeinschaftshaus, die Jugendarbeit vom Spielmannszug oder die aktuellen Arbeiten an der Bauernburg nennen, wo Jung und Alt ehrenamtlich zusammenarbeiten.
Es ist nicht immer einfach Menschen zu finden, die Verantwortung übernehmen wollen, insbesondere Vorstandsposten zu besetzen, fällt den Vereinen immer schwerer. Lassen Sie sich nicht entmutigen, oft tun sich neue Möglichkeiten auf.
Ich sage: Recht herzlichen Dank für Ihr Engagement und Ihren Einsatz.
Sehr geehrte Damen und Herren,
Wir gedenken der Opfer der Weltkriege, wir beklagen das große Leid, das sie durchmachten, wir können auch das Leid ihrer Familien kaum ermessen. Die Folgen des Weltkrieges sind auch heute noch in vielen Familiengeschichten in Ottenhausen und anderswo ablesbar.
33 Gefallene und Vermisste aus Ottenhausen gab es im 2. Weltkrieg zu beklagen.
Der jüngste, Alfons Postert, gerade einmal 16 ½ Jahre jung.
Das Durchschnittsalter der Gefallenen im 2. Weltkrieg lag bei 25 Jahren. Wer hier und heute – im Jahr 2024 – 25 Jahre ist, steht in voller Blüte, kraftstrotzend, lebenshungrig und meist optimistisch im Leben. Vor 79 Jahren – im Jahr 1945 – waren die Zeiten andere:
Wir haben die Verantwortung an dieser Stelle, an der wir der Opfer der Kriege gedenken, uns der starken Fundamente unserer nach 1945 wiedergewonnen Freiheit und Demokratie zu vergegenwärtigen.
Wir können Schützenfest feiern, weil wir mit unseren Nachbarn in Frieden leben.
Demokratie bleibt die unverzichtbare Grundlage von Freiheit und Frieden. Sie bleibt aber nur dann stark, wenn sich alle daran beteiligen – gerne auch kritisch, aber immer konstruktiv.
Heute sind Populismus und Gleichgültigkeit gängige Gifte, die die Demokratie lähmen wollen. Lassen Sie sich aber nicht beirren und treten Sie ein für die – bei allen Mängeln – beste Staatsform, die es gibt: die Demokratie.
Freiheit und Demokratie werden uns stehts fordern.
Die Gefallenen hätten sie wohl gerne gelebt und erlebt.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Silke Lüke, zweite stellvertretende Bürgermeisterin der Stadt Steinheim